Alarmstufe Gelb: Asteroid 2024 YR4 ist möglicherweise auf Kollisionskurs mit der Erde. Der 40 bis 90 Meter große Brocken könnte am 22. Dezember 2032 einschlagen – oder uns knapp verfehlen. Zurzeit beziffern Astronomen das Risiko eines Einschlags auf 1:83 oder 1,2 Prozent. Das jedoch reicht, um den Asteroiden auf Stufe 3 der Torinoskala zu setzen, die zweithöchste je erreichte Position. Doch was geschieht nun? Wie bereiten sich die Verantwortlichen vor? Und wie ließe sich der Einschlag abwenden?
Die Bedrohung ist real: Im Laufe der Erdgeschichte wurde unser Planet immer wieder von Asteroiden getroffen. Einige verursachten eine globale Katastrophe wie der „Dinokiller“ Chicxulub, andere nur lokale Verwüstungen wie beim Tunguska-Ereignis im Jahr 1908. Damit die Menschheit beim nächsten Mal nicht unvorbereitet getroffen wird, überwachen Astronomen den erdnahen Raum und potenzielle Erdbahnkreuzer mit einem Netzwerk automatischer Teleskope.
Aber was geschieht, wenn sie Alarm schlagen? Einen solchen Ernstfall proben Wissenschaftler, Behörden und die für Asteroidenabwehr zuständigen Zentren der NASA und ESA regelmäßig. Konfrontiert mit dem fiktiven Szenario eines potenziellen Einschlags werden bei diesen Übungen alle Schritte von der Entdeckung bis zur Abwehr oder Evakuierung potenziell betroffener Gebiete durchgespielt.
Jetzt gibt es tatsächlich einen solchen Asteroiden-Alarm: Am 27. Dezember 2024 löste das in Chile stationierte Teleskop des Asteroid Terrestrial-impact Last Alert System (ATLAS) den automatischen Alarm aus. Es hatte einen Asteroiden entdeckt, der möglicherweise auf Kollisionskurs mit der Erde ist. Sofort ging die Nachricht über das International Asteroid Warning Network (IAWN) an Astronomen und Observatorien in aller Welt raus, die nun ebenfalls ihre Teleskope auf den 2024 YR4 getauften Brocken richteten.
Inzwischen ist klar: Asteroid 2024 YR4 könnte in sieben Jahren die Erde treffen – am 22. Dezember 2032. „Wir schätzen das Risiko für einen Einschlag von Asteroid 2024 YR4 zurzeit auf rund 1,2 Prozent“, teilte die Europäische Weltraumorganisation ESA am 29. Januar 2025 mit. Ähnliche Werte ermittelte die Asteroidenüberwachung der NASA. Den Berechnungen zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Einschlag bei 1:83.
Damit ist Asteroid 2024 YR4 aktuell der einzige Himmelskörper, der auf der Torinoskala mehr als die niedrigste Stufe Null erreicht: Er wurde auf Stufe 3 eingestuft. Laut dieser Skala des Einschlagsrisikos gehören dazu Objekte mit naher Annäherung sowie einer Kollisionswahrscheinlichkeit von mehr als einem Prozent und dem Risiko lokaler Zerstörungen bei einem Einschlag. „Findet die Begegnung in weniger als einem Jahrzehnt statt, müssen Öffentlichkeit und Behörden aufmerksam gemacht werden“, heißt es in der Skala.
Der einzige Asteroid, der kurzzeitig eine noch höhere Stufe auf der Torinoskala innehatte als 2024 YR4, war der rund 350 Meter große Asteroid Apophis. Er kommt der Erde in den nächsten Jahrzehnten gleich mehrfach gefährlich nahe. Vorübergehend galt ein Einschlag im Jahr 2029 als so wahrscheinlich, dass er auf Stufe 4 der Torinoskala gesetzt wurde. Inzwischen steht Apophis wieder bei Null, auch wenn sich dies in naher Zukunft wieder ändern könnte.
Warum es keinen Grund zur Panik gibt
Was aber bedeutet dies? Droht uns im Jahr 2032 ein Armageddon? Dies ist aus gleich mehreren Gründen unrealistisch. Der erste: Asteroid 2024 YR4 ist kein „Planetenkiller“. Mit einem geschätzten Durchmesser von 40 bis 90 Metern ist er ungefähr so groß wie der Urheber des Tunguska-Ereignisses. Wenn der Asteroid die Erde trifft, würde dies daher keine globale Katastrophe auslösen. Allerdings könnte ein Einschlag schwerwiegende lokale Zerstörungen in einem Umkreis von rund 50 Kilometern verursachen, wie die NASA erklärt.
Der zweite Grund, nicht in Panik zu verfallen: Die Flugbahn des Asteroiden ist noch lange nicht präzise genug vermessen. Wir wissen nur, dass er die Sonne auf einer elliptischen, exzentrischen Bahn umkreist, die von knapp innerhalb der Erdbahn bis fast zum Jupiter reicht. 2024 YR4 ist damit ein typischer Erdbahnkreuzer vom Apollo-Typ – und er kommt immer wieder in Erdnähe vorbei. Astronomen haben ermittelt, dass es in der Zeit zwischen 2032 und 2076 sieben nahe Annäherungen an die Erde geben wird – und auch potenzielle Kollisionen.
Von „vielleicht“ zu Null: Wie Astronomen die Bahn eingrenzen
Aber wie nahe uns der Asteroid dabei kommt, ist noch längst nicht klar. Anders ausgedrückt: Die Ellipse seiner möglichen Kollisionszone für das Jahr 2032 reicht weit über die Erde hinaus. Typischerweise sorgen erst weitere Beobachtungen dafür, dass sich diese Trefferellipse im Laufe der Zeit immer weiter verkleinert. Rückt dann die Erde aus dieser Ellipse heraus, gibt es Entwarnung – die Kollision findet nicht statt.
Allerdings: Bei Asteroid 2024 YR4 wird es noch eine Weile dauern, bis wir Gewissheit haben. „Er bewegt sich zurzeit in fast gerader Linie von der Erde weg. Das macht es schwer, seine Umlaufbahn genau zu bestimmen“, erklärt die ESA. Denn typischerweise ermitteln Astronomen den Orbit anhand der seitlichen Krümmung der Flugbahn. Weil der Asteroid zudem schnell kleiner und dunkler wird, müssen immer leistungsstärkere Teleskope für seine Beobachtung eingesetzt werden.
In einigen Monaten wird der Asteroid dann von der Erde aus gar nicht mehr zu sehen sein. Wenn es Astronomen bis dahin nicht gelungen ist, seine Flugbahn genauer einzugrenzen, bleibt das potenzielle Risiko erst einmal bestehen – die Einschlagsellipse ist nicht viel kleiner geworden. Erst im Jahr 2028 wird sich dies ändern, denn dann kommt 2024 YR4 wieder in Reichweite unserer Teleskope, wie die ESA berichtet.
Aber was ist, wenn sich das Einschlagsrisiko dann bestätigt? Sind Abwehrmaßnahmen überhaupt noch möglich? Die Antwort hierauf lautet: ja. Denn die DART-Mission im Herbst 2022 hat demonstriert, dass ein gezieltes Rammen einen Asteroiden aus seiner Bahn lenken kann. Die rund 570 Kilogramm schwere Rammsonde traf den 165 Meter großen und rund fünf Milliarden Kilogramm schweren Zielasteroiden Dimorphos.
Als Folge verkürzte sich die Umlaufbahn von Dimorphos um seinen größeren Partner um 33 Minuten – ein voller Erfolg. „Dies demonstriert, dass wir dieser Art von Katastrophe nicht länger machtlos gegenüberstehen“, sagte Lindley Johnson vom Planetary Defense Office der NASA. Mit solchen Rammsonden habe man ein wichtiges Werkzeug zum Schutz der Erde vor einem verheerenden Asteroiden-Einschlag. Auch bei Asteroid 2024 YR4 könnte eine solche Rammsonde zum Einsatz kommen – falls er auf Kollisionskurs bleibt.
Das passiert jetzt als nächstes
Bis wir Näheres wissen, bleiben Raumfahrtagenturen und Astronomen aber keineswegs untätig: Schon jetzt sind zwei internationale Gremien in Aktion getreten. Die erste ist das von der NASAS geleitete International Asteroid Warning Network (IAWN). Dieses koordiniert die Überwachung und nähere Erkundung des Asteroiden und erforscht auch die möglichen Folgen eines Einschlags.
Das zweite Gremium ist die von der ESA geleitet Space Mission Planning Advisory Group (SMPAG). Sie ist zum einen für die Planung möglicher Abwehrmaßnahmen zuständig, zum anderen informiert und berät sie Regierungen und internationale Organisationen wie die UNO über das weitere Vorgehen und mögliche Vorbereitungsmaßnahmen. Das nächste reguläre Treffen der SMPAG findet praktischerweise schon nächste Woche in Wien statt – Asteroid 2024 YR4 dürfte dann das Topthema sein.